Märkische Forschungen
Am Anfang war die Brandenburg

Albrecht der Bär verdankt ihm eine Biografie und Brandenburg ein Jubiläum. Denn ohne Lutz Partenheimers Engagement würde das Land seine Entstehung vor 850 Jahren weniger opulent feiern. Der promovierte Historiker lehrt an der Universität Potsdam und ist einer der besten Kenner des märkischen Mittelalters. Was nun Albrecht der Bär und Brandenburg miteinander zu tun haben und wir darüber heute noch wissen müssen, erklärt der 1957 in Berlin geborene Forscher in einem Gespräch mit Frank Kallensee.

 

Herr Partenheimer, vor einigen Jahren warf der Historiker Heribert Illig das Schlagwort vom „erfundenen Mittelalter“ in die Runde und Karl den Großen als Karl den Fiktiven kurzerhand aus der Geschichte. In Brandenburg reden wir jetzt von Geschehnissen, die vor 850 Jahren passiert sind. Was können wir über diese Zeit sicher wissen – und was müssen wir „erfinden“?

Partenheimer: Erfinden kann und will ich nichts, ich muss mich als Mittelalterhistoriker vor allem an die schriftlichen Quellen halten. Allerdings sind die für die Anfänge der Mark rar. Deshalb muss die Forschung bei der Rekonstruktion der damaligen Vorgänge möglichst wahrscheinliche Varianten dafür erarbeiten, wie es gewesen sein könnte.

Wie fing es denn nun an?


Partenheimer: Es gab keinen Gründungsakt wie etwa 1156, als Kaiser Friedrich Barbarossa die bayerische Ostmark zum neuen Herzogtum Österreich erhob. In Brandenburg haben wir es mit einem langen Prozess zu tun, der spätestens im 10. Jahrhundert begann und immer wieder von Kämpfen zwischen den damals in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Westfalen, der Altmark und im Harzraum ansässigen Sachsen und den zwischen Elbe und Oder siedelnden Slawen bestimmt war. Die Gegend um die Brandenburg an der Stelle des Brandenburger Domes bewohnte der Stamm der Heveller. Der Streit ging immer wieder um diese Burg, die demnach von erheblicher Bedeutung gewesen sein muss. Sie wurde wahrscheinlich im Winter 928/29 vom sächsischen Herzog und ostfränkisch-deutschen König Heinrich I. erobert. Mit der von seinem Sohn, dem späteren Kaiser Otto I., eingerichteten Grenzgrafschaft Nordmark entstand dann so etwas wie ein Vorläufer der späteren Mark Brandenburg. Hinzu kamen Ottos Bistumsgründungen in Havelberg und Brandenburg...

...deren Datierung allerdings umstritten ist?

Partenheimer: Richtig, wahrscheinlich sind sie erst 965 und nicht schon 948 gestiftet worden – aber in jedem Fall durch Otto, der mittels Christianisierung den Widerstandswillen der Slawen zu brechen hoffte. Das klappte anfangs auch relativ gut. Aber der große Slawenaufstand 983 zerstörte die „deutschen“ Strukturen. Wiedereroberungsversuche unter Otto III. hatten nur vorübergehend Erfolg, bis die Kämpfe um 1000 aufgegeben wurden. Immerhin erfolgte im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen 993 die Ersterwähnung von Potsdam und 997 die eines Ortes, bei dem es sich um Beelitz oder vielleicht auch um Belzig handelte.

Trotzdem wurden die Ansprüche auf die verlorenen Territorien aufrechterhalten.

Partenheimer: Ja, der deutsche König setzte weiter Markgrafen und Bischöfe für diese Gebiete ein, die eigentlich den Auftrag gehabt hätten, das Slawenland wiederzuholen. Das passierte aber im 11. Jahrhundert nicht.


Woher wissen wir eigentlich von diesen Kämpfen? Gibt es archäologische Befunde?

Partenheimer: Die Kenntnisse darüber verdanken wir zuallererst Chronisten wie dem Mönch Widukind von Corvey und dem Bischof Thietmar von Merseburg, der zum Beispiel für die Tausendjahrfeier Jüterbogs verantwortlich ist. Ergänzt werden deren Aufzeichnungen durch Urkunden. Wir wissen zum Beispiel, dass der elfjährige König Otto III. am 9. September 991 auf der Brandenburg eine Urkunde ausstellen ließ; er war an dem Tag also auf der Havel-Feste. Aber selbst die dürftigen überlieferten schriftlichen Quellen sind von den wenigen Fachleuten noch längst nicht nach allen möglichen sinnvollen Fragen hin ausgewertet. Wertvolle Ergänzungen bietet natürlich die Archäologie. Im Moment wird ja in Brandenburg sehr viel gegraben ...

... aber es wurden keine Spuren der Brandenburg gefunden?

Partenheimer: Doch. Die Archäologen bestätigen – mit aller gebotenen Vorsicht – die Entstehung einer Slawenburg an der Stelle des heutigen Brandenburger Doms wohl zwischen 850 und 870. Sie war der Vorgänger jener Wallanlage, die Ottos Vater Heinrich I. 928/29 erobert hat. Schwieriger ist hingegen der Nachweis der spätslawischen Burg, die Albrecht der Bär 1150 durch den Tod des letzten Hevellerfürsten als der von diesem eingesetzte Erbe übernommen hatte und dann 1157 von dem als Jaxa von Köpenick in die Annalen eingegangenen polnischen Fürsten zurückerobern musste. Von ihr existieren kaum Relikte, und noch weniger wurde bisher von der ab 1157 endgültig deutschen Burg entdeckt, auf die 1165 auch der Brandenburger Bischof zurückkehrte. Sie bestand bis ins 13. Jahrhundert. Um so interessanter ist, dass der Dombezirk bis zum 16. Jahrhundert als "Burg" bezeichnet wurde.

Die Markgrafen führten "Brandenburg" auch weiter im Titel ...

Partenheimer: ... ja, obwohl sie die Brandenburg 1237 ganz dem Bischof von Brandenburg und seinem Domkapitel überlassen hatten und meist in Spandau sowie Tangermünde, später in Berlin residierten. Dieses Nachwirken zeigt, welche herausragende Stellung dem Ort als ehemaligem Fürstensitz der Havelslawen beigemessen wurde, der dem Land zu seinem Namen verhalf.

Brandenburg fehlt der Gründungsakt, aber nicht der "Gründungsvater".

Partenheimer: Etwa 1100 flammten die Kämpfe wieder auf. Nur ging die Initiative jetzt weniger von der deutschen Krone aus, die damals im Kampf mit dem Papst und Gegenkönigen lag. Jetzt versuchten vor allem Fürsten und Bischöfe, ihre in königlichem Auftrag ausgeübten Ämter in eigene Herrschaften zu verwandeln. Das dauerte Jahrhunderte und führte zur Bildung vieler Fürstentümer im deutschen Königreich – mit dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik heute noch föderal verfasst ist. Auch beeinflusst von der Kreuzzugsbewegung richteten ostsächsische Fürsten wieder begehrliche Blicke auf die slawischen Lande, deren Christianisierung als verdienstvoll galt, während die Inbesitznahme der weiten ostelbischen Regionen Vorteile gegenüber den entsprechenden Bestrebungen der fürstlichen Rivalen im Reich versprach.

Die Slawengebiete wurden ja nach wie vor von den für sie immer noch ernannten Markgrafen und Bischöfen beansprucht. Der Magdeburger Erzbischof rief 1108 sogar dazu auf, den Osten nach dem Vorbild des ersten Kreuzzuges vom Heidentum zu befreien, weil dort "unser Jerusalem" läge. Eine neue Qualität war freilich, dass er dabei nicht nur Verdienste für das Seelenheil, sondern auch den Gewinn besten Siedellandes in Aussicht stellte. Diesen Aufruf hatte auch der Vater Albrechts des Bären unterschrieben: Otto der Reiche, Graf von Ballenstedt (im Harz) – aus der nach Aschersleben benannten Dynastie der Askanier –, begann, seinen Einfluss über die Elbe in Richtung Fläming auszudehnen.

Nach dessen Tod 1123 führte sein Sohn diese Politik weiter, setzte aber auf Verhandlungen mit Pribislaw-Heinrich, einem getauften Angehörigen der Fürstenfamilie der Heveller, der seinerseits Albrechts Hilfe suchte.

Albrecht nutzte einen "Thronstreit" aus?

Partenheimer: Das bleibt ein wenig dunkel. Pribislaw-Heinrich saß wahrscheinlich noch gar nicht auf dem Brandenburger Fürstenstuhl, wollte aber wohl mit Albrechts Unterstützung darauf gelangen. Das würde zumindest Pribislaw-Heinrichs weitreichende Zugeständnisse erklären: Er sagte vermutlich 1123/25 für den Fall seines Todes Albrecht die Übernahme des Brandenburger Slawenfürstentums zu und gab dem Sohn des Askaniers die Zauche als Patengeschenk. 1127 oder bald darauf wurde Pribislaw-Heinrich tasächlich Fürst der Heveller. So wird verständlich, warum Albrecht, den der König 1134 zum Markgrafen der Nordmark ernannt hatte, das ihm versprochene Brandenburger Slawenreich während des Wendenkreuzzugs 1147 schonte.

Das Merkwürdige war nun, dass der Askanier in Königsurkunden zwischen 1140 und 1152 bereits als Markgraf von Brandenburg bezeichnet wird, obwohl er selbst diesen Titel mied. Auch, nachdem er von der Brandenburg nach dem Tode Pribislaw-Heinrichs 1150 als von diesem bestimmter Nachfolger Besitz ergriffen hatte. Vielleicht wollte der König den Askanier auf diese Weise daran erinnern, dass er auch das Brandenburger Erbe im Auftrag der Krone zu verwalten habe.

Albrecht bezeichnete sich indessen weiter als Markgraf der Nordmark oder nur als Markgraf. Erst nachdem er die Brandenburg von Jaxa von Köpenick, der die Brandenburg im Frühjahr 1157 besetzt hatte, am 11. Juni 1157 zurückerobert hatte, übernahm der Askanier den neuen Titel. Am 3. Oktober 1157 bezeichnete er sich in einer von ihm zu Werben in der Altmark ausgestellten Urkunde nach der Überlieferung erstmals selbst als "Markgraf in Brandenburg". Deshalb freue ich mich immer, dass der 3. Oktober ein Feiertag ist.

Darum 1157 als Geburtsjahr der Mark Brandenburg?


Partenheimer: Ja. Doch weil Albrecht auch seine Stammlande zwischen Harz und Mulde sowie weitere Regionen regierte, rückte die neue Mark Brandenburg wohl erst durch die noch von ihm verfügte Gebietsaufteilung ins "öffentliche Bewusstsein". Der älteste Sohn Otto übernahm nach dem Tode Albrechts 1170 die Mark, während die anderen askanischen Lande seinen Brüdern zufielen. Seit 1172 nannte die königliche Kanzlei Otto I. und dessen Nachfolger wieder und nun stets: "Markgraf von Brandenburg". Spätestens jetzt war klar: Es gab ein neues Fürstentum im Reich, und das war die Markgrafschaft Brandenburg.

Gretchenfrage: Wie hielt’s denn Albrecht mit der Religion?

Partenheimer: Für die Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts war Albrecht ein treuer Anhänger des Kaisers und der Kirche. Aber das Bild ist wesentlich differenzierter. Albrecht war als Markgraf verpflichtet, den Bischof zu unterstützen, holte sich damit aber auch einen Konkurrenten in sein neues Brandenburger Herrschaftsgebiet. Und so dauerte die Wiedererrichtung des im Slawenaufstand zerstörten Bistums Brandenburg recht lange.

Erst wurde um 1140 in Leitzkau östlich von Magdeburg ein mit Prämonstratensern aus dieser Stadt besetztes Stift als provisorisches Brandenburger Domkapitel gegründet. Von dort kam spätestens kurz vor dem Wendenkreuzzug von 1147 ein Konvent nach Parduin vor die Brandenburg. Dieser wurde 1161 zum Domkapitel erhoben und zog erst 1165 auf die Burg um, wo noch im gleichen Jahr der Dombau begann. Es sieht so aus, als habe Albrecht gebremst. Es war schon eine komplizierte Lage: Es gab den Markgrafen, den Bischof und noch einen wohl von Friedrich Barbarossa geschickten Burggrafen, der die Reichsrechte durchzusetzen hatte. Letzteren konnten die Markgrafen erst nach 1236 endgültig beiseite schieben.

Dass die Markgrafen die Brandenburg den Bischöfen ganz überließen, störte letztlich wenig, war doch deren Besitz zu klein, um zu nennenswerter Machtfülle zu gelangen. Die Markgrafen konnten dagegen bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts ihr Land über die Oder hinaus gegen viele Rivalen stark erweitern, in das Kurfürstenkollegium aufsteigen und sogar für den deutschen Königsthron kandidieren.

Den Slawen dürfte das alles weniger gefallen haben, oder?

Partenheimer: Kein Fürst wollte ein Land voller Leichen haben, sondern viele das Land bearbeitende Menschen und deren Abgaben. Sicher wurden Slawen getötet, wenn sie Widerstand leisteten. Es gab auch Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen, sogar von slawischen Fürsten angeordnete, denn die deutsche Wirtschaftsweise war effektiver und brachte den Landesherren mehr Einkünfte. Meist aber sind die Slawen von den Deutschen in den Landesausbau friedlich einbezogen worden, was auch die Archäologie zunehmend bestätigt.

Für heutige Brandenburger war Friedrich der Große an allem "schuld". Inwieweit sind die Spuren des nach 1157 begonnenen Landesausbaus noch zu sehen?

Partenheimer: Da ist durch die Industrialisierung, durch Eisenbahn-, Autobahn- und Wohnungsbau vieles verschwunden. Aber die meisten unserer Dörfer, Städte, Kirchen und Klöster verdanken ihre Entstehung dem 12., vor allem dem 13. Jahrhundert. Und dass bereits Albrecht der Bär und sein Zeitgenosse Erzbischof Wichmann von Magdeburg zusätzliche Siedler, sogar Rheinländer, Holländer und Flamen, ins Land holten, beweisen schriftliche Quellen und auch die "Fläming" genannte Landschaft. Aus den slawischen "Ureinwohnern" und den Zuzüglern bildete sich dann der märkische Menschenschlag heraus.

Womit wir in der Gegenwart wären. Was erhoffen Sie sich von diesem Landesjubiläum?

Partenheimer: Mehr Identifikation mit der Region und wachsendes Interesse für die eigene Geschichte, eine stärkere Förderung der landesgeschichtlichen Forschung, auch für das Mittelalter. Mal stark zugespitzt: Für manche DDR-"Geschichtsschreiber" gründeten die Werktätigen unter Führung der SED 1946 Potsdam. Im Moment beginnt alles mit Friedrich dem Großen, was immerhin schon ein Schritt in die richtige Richtung ist. Aber es gab eben schon viele Jahrhunderte davor eine interessante brandenburgische Geschichte.